Willoughby Ann Walshe 80. Geburtstag
von Ulrich Schmülling


Am 20. April feiert die gebürtige US-Amerikanerin Willoughby Ann Walshe ihren 80. Geburtstag.


Beruflich war sie Zeit ihres Lebens als Journalistin für Zeitungen und Magazine in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft in den USA und Europa tätig. 25 Jahre lang leitete sie die Redaktion des renommierten Fachblattes „Made in Germany“.

Den Akkordeonisten ist sie international zunächst durch ihre Übersetzung des Fachbuches „
Die Kunst des Bajanspiels“ von Friedrich Lips in die englische Sprache bekannt geworden, das im Verlag KARTHAUSE-SCHMÜLLING (Kamen, Deutschland) unter dem Titel „The Art of Bayan Playing & Playing the Accordion Artistically“ erschienen ist, auf diesem Gebiet zu einem Bestseller wurde und inzwischen zur Grundlagenliteratur gehört. Zahlreiche weitere Übersetzungen von Büchern, Artikeln und Texten verschiedenster Art für den Verlag folgten.

Für die Zeitung INTERMUSIK, die von 1992 bis 2010 erschien und als das international führende Pressemedium über alles berichtete, was im Bereich der Harmonika-Instrumente und -Musik in der Welt geschah, war sie über viele Jahre als freie Mitarbeiterin tätig und hat zahlreiche Musikfestivals, Konzerte, Seminare und Wettbewerbe der Akkordeonszene besucht und über sie berichtet.

Walshe Essential Guide  to  Accordion and Harmonica EventsIhr Fachwissen über die Akkordeon-Veranstaltungen, das sie über viele Jahre zusammengetragen hat, veranlaßte Willoughby Ann Walshe zu einem umfangreichen und detaillierten Kompendium über die Akkordeon-Events in der Welt. Unter dem Titel „Walshe Essential Guide to Accordion and Harmonica Events“ hat sie ein einzigartiges Buch in englischer Sprache verfaßt (erschienen im Verlag Karthause-Schmülling), das einen naturgemäß zwar nicht vollständigen, aber umfassenden Überblick über die zahlreichen Events gibt und unzählige wichtige Einzelheiten enthält.

Auch wenn Willoughby Ann Walshe heute nicht mehr (haupt-) beruflich als Journalistin oder Autorin tätig ist und sich in ihrem Wohnort Seattle ihrer verdienten Altersruhe zuwenden könnte, zieht es sie heute noch mehr durch die Lande und die Welt als früher. Zwischen den USA, Kanada und Europa reist sie regelmäßig hin und her.

Von 2012 bis 2014 hatte sie ihren Wohnort vorübergehend sogar nach Bischkek, der Hauptstadt von Kirgisien in Zentralasien, verlegt, um als Englischlehrerin des U.S. Peace Corps in diesem entlegenen zentralasiatischen Land zu arbeiten und die Menschen und ihre Kultur kennenzulernen. Gegenwärtig lebt sie in Frankreich und studiert Französisch an der Universität in Nantes. Zum Wintersemester diesen Jahres will sie nach Perpignan wechseln, um an der dortigen Hochschule Spanisch zu studieren.

Zu dem renommierten Verlag
Karthause-Schmülling und dem Verleger Prof. Ulrich Schmülling besteht abgesehen von der sehr erfolgreichen Zusammenarbeit auch eine langjährige Freundschaft. Regelmäßig ist sie im Verlagshaus in Kamen (in Westfalen) zu Gast. Während ihres jüngsten Besuches im April entstand folgendes Interview mit dem Verleger.


Herausgeber Prof. Ulrich Schmülling und Willoughby Ann Walshe beim Verlag in Kamen.

Interview

Willoughby, wann und wie haben wir uns eigentlich kennengelernt?

Das muß 1991 oder 1992 gewesen sein. Damals lebte ich zeitweise in Morgenröthe-Rautenkranz in Sachsen. Von dort aus habe ich als Zuhörer den Internationalen Akkordeonwettbewerb im Nachbarort Klingenthal besucht, und Dein Verlag hatte dort eine große Verkaufsausstellung. Da habe ich das Buch „
Die Kunst des Bajanspiels“ von Friedrich Lips gekauft, das gerade erschienen war. Als ich abends zu Hause dieses Buch in die Hände nahm, um es durchzublättern, ließ es mich einfach nicht mehr los. Ich war so davon gefesselt, daß ich die ganze Nacht hindurch mit Begeisterung gelesen habe. Wie man auf dem Akkordeon fantastische anspruchsvolle klassische Musik spielen kann, war mir bis dahin vollkommen unbekannt. Daß das möglich war, hörte ich ja in den Wettbewerben.

Welche Beziehung hattest Du zu dem Akkordeon bzw. zur Musik überhaupt, wo Du doch in Deinem Berufsalltag als Wirtschaftsjournalistin wenig mit Kunst und Musik in Berührung kamst?

Die Musik und im besonderen das Akkordeon waren mir bereits von Kindesbeinen an bekannt, aber eben nur als Instrument für die Volks- und Unterhaltungsmusik. Im Alter von fünf Jahren habe ich in Südkalifornien, wo wir damals lebten, Akkordeonunterricht bekommen, und zwar deshalb Akkordeon, weil man für Klavierunterricht mindestens sechs Jahre alt sein mußte. Ich wollte aber nicht warten und unbedingt Musik machen. So lernte ich Akkordeonspielen.

Ein Jahr später begann ich dann mit dem Klavierspiel, blieb aber gleichzeitig beim Akkordeon – bis zur Highschool. Allerdings war es „selbstverständlich“, daß ich auf dem Klavier klassische Musik spielen konnte und auf dem Akkordeon „nur“ Unterhaltungsmusik. Die Musik und die Künste allgemein waren für mich immer etwas besonderes und außerordentlich bereicherndes. Deshalb habe ich die Beziehung dazu nie verloren.

Wie ich weiß, hast Du damals auch in der Region um Frankfurt am Main gewohnt. Dort warst Du als Chef-Redakteurin des Wirtschaftsmagazins „Made in Germany“ berufstätig. Wie bist Du überhaupt nach Deutschland, nach Europa gekommen? Ein Amerikaner, den es nach Deutschland zieht, ist doch eher selten anzutreffen, im Gegensatz zu Deutschen, die es nach Amerika zieht.

Nun, zuerst einmal war Amerika für mich nie ein „gelobtes Land“. Ich habe immer schon über den „Tellerrand“ hinausgeschaut, und manche Entwicklungen in den USA habe ich sehr distanziert und kritisch betrachtet – von den aktuellen ganz zu schweigen. Meine direkten Vorfahren kamen aus dem Libanon und Mitteleuropa, und für mich hatten andere Länder, Kulturen und Menschen immer einen besonderen Reiz. Also fiel es mir überhaupt nicht schwer, die USA für Reisen und Daueraufenthalte im Ausland zu verlassen.

Das erste Mal war ich in Europa übrigens schon im Jahre 1959. Es war meine Hochzeitsreise, die mich damals hierher führte, und zwar nach Frankreich, Italien und die Schweiz.

Daß ich dann viele Jahre später für lange Zeit in Deutschland bleiben würde, hatte seinen Anfang, als mich der deutsch-kanadische Medienunternehmer Armin Löscher ansprach, um mit ihm ein völlig neues Magazin zu produzieren, und zwar in Deutschland, aber in englischer Sprache. Das war im Jahre 1984. Ich arbeitete zu der Zeit in New York als Journalistin bei einem Fachmagazin („Word Processing World“). Dort war ich bereits seit 1976 tätig und kam schließlich zu der Überzeugung, daß es Zeit für eine Veränderung ist. So folgte ich Armin Löscher nach Deutschland und baute mit ihm das Magazin „Made in Germany“ mit Hauptsitz in Dreieich bei Frankfurt auf. Es erschien nur in englischer Sprache, aber in über 200 Ländern, und wurde bald sehr erfolgreich. Es zeigte dem Ausland, der ganzen Welt, was es in Deutschland an Unternehmen und Wirtschaftsleistung gab.

Über 25 Jahre hinweg war es sozusagen ein Aushängeschild für deutsche Firmen und deutsche Produkte erster Klasse und am internationalen Markt einzigartig. Natürlich mußte ich dann auch die deutsche Sprache lernen, denn für den Umgang mit deutschen Unternehmen war das unbedingt erforderlich. Ich hatte an meiner Highschool in Kalifornien damals schon eine erste Berührung mit dieser Sprache und nahm in Deutschland dann an intensiven Sprachkursen teil. Die deutsche Sprache hat mir sehr viel Freude bereitet.

Im Jahre 2009 hat Armin Löscher aus gesundheitlichen Gründen dann die Herausgabe des Magazins eingestellt. Obwohl ich da schon 72 Jahre alt war und 25 Jahre in Deutschland gearbeitet hatte, war ich noch nicht bereit für den Ruhestand. Stattdessen habe ich begonnen, freiberuflich zu arbeiten und deutsche Geschäftspapiere und Fachdokumente ins Englische zu übersetzen. Es ist eine Arbeit, die ich von überall aus mit meinem Computer per Internet ausführen kann, so daß ich unabhängig bin.

Noch einmal zurück zu Deinem Besuch in Klingenthal und Deiner Begegnung mit dem Lips-Buch bzw. der Offenbarung für Dich, daß man auf dem Akkordeon auch klassische Musik spielen kann. Welche Auswirkungen hatte das?

Ob Du es glaubst oder nicht: Schon nach dem ersten Durchlesen des Buches von Friedrich Lips hatte ich die feste Überzeugung, daß ich dieses wichtige und wunderbare Buch ins Englische übersetzen werde! Als Du mich dann tatsächlich einige Jahre später darum gefragt hattest, war das für mich vollkommen selbstverständlich – ich hatte das ja sozusagen schon erwartet.

Ich wußte schon damals, daß an eine Übersetzung dieses Buches hohe Anforderungen gestellt werden. Und als ich Dich und Deinen Verlag näher kennenlernte und feststellte, welche hohen Ansprüche Du an alles stellst, was Du unternimmst, kam mir das genau entgegen.

Während ich noch in Klingenthal war, stand für mich fest, daß ich das eigentliche Bajanspiel, also das Musizieren auf einem russischen Knopf-Akkordeon, lernen will und werde, so schnell es geht. Als ich aus Klingenthal wieder nach Frankfurt zurückgekehrt war, habe ich nach einem Lehrer gesucht und tatsächlich in dem gebürtigen Deutsch-Russen Waldemar Heldt aus Aschaffenburg einen passenden Mann gefunden. Mit seiner Hilfe kam ich dann auch zu einem „richtigen“ Knopf-Akkordeon. Daß er anfangs auf meine Begeisterung, das Instrument spielen lernen zu wollen, entgegnete, daß ich dafür „zu alt“ sei (ich war Mitte 50) hat mich nicht im mindesten abgeschreckt. Im Gegenteil! Und das Gegenteil habe ich ihm dann auch bald bewiesen.

Es war für mich ein wunderbares Erlebnis, klassische Musik auf dem Akkordeon zu spielen, und mir die Spieltechniken, die Interpretationsmöglichkeiten und die zahlreichen Feinheiten, von denen Friedrich Lips in seinem Buch geschrieben hat, Stück für Stück zu erarbeiten – jedoch nur im Rahmen meiner Möglichkeiten, die im Vergleich mit denen professioneller Musiker natürlich nur sehr bescheiden sind.

Aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit war ich zeitlich sehr eingespannt. Aber ich nutzte jede freie Minute für das Bajan bzw. Akkordeon. Lange Zeit spielte ich aktiv in Akkordeon-Orchestern im Frankfurter Raum. Ich lebte und liebte diese Art der Musik und des Musizierens, und ich war bestens auf die Übersetzung des Buches vorbereitet.

Daß nach dieser Arbeit eine doch recht umfassende Tätigkeit für Deinen Verlag und auch Deine Zeitung INTERMUSIK folgte und damit noch eine bei weitem intensivere Beschäftigung mit der Akkordeonmusik und der internationalen Akkordeon-Musikfachszene, hatte ich nicht erwartet und auch nicht vorhergesehen. Allerdings hat mir das zu jeder Zeit wirklich Spaß gemacht. Es hat mein Leben großartig und nachhaltig bereichert.

Herzlichen Dank, liebe Willoughby, für das Interview – und Deine langjährige Freundschaft.


Einige der erfolgreichen, ganz unterschiedlichen Produktionen, die mit Hilfe von Willoughby Ann Walshe im Verlag
Karthause-Schmülling in rund 25 Jahren Zusammenarbeit entstanden sind und bis heute als Bestseller am Markt bestehen.


Prof. Ulrich Schmülling: "Mit ihrer Arbeit, mit ihren Übersetzungen, stand Willoughby Ann, naturgemäß anders als die Autoren der Bücher und Texte, nie im Rampenlicht, nie im direkten Blickfeld der Leser und der Öffentlichkeit. Ohne Willoughby allerdings wären die Titel nie der englischsprachigen Leserschaft bekannt und zugänglich geworden! Und damit hat sie in ganz entscheidendem Maße zum Erfolg der Publikationen und Autoren beigetragen. Besonders bei großen und wichtigen, schwierigen Werken verdient es die Arbeit eines Übersetzers in gleicher Weise hoch geschätzt zu werden wie die des Autors selbst.

Für unseren Verlag gehört Willoughby Ann Walshe zu den stillen Kostbarkeiten, zu den Juwelen im Hinterzimmer, die immer da sind, wenn man sie braucht und auf die man sich stets verlassen kann.“ Gegenwärtig arbeitet Willoughby an der Übersetzung des neuesten Buchtitels von Friedrich Lips im Verlag
Karthause-Schmülling: „Die Kunst der Bearbeitung klassischer Musik für Akkordeon“ – englisch: „The Art of Arranging Classical Music for Accordion“ –, der im Laufe dieses Jahres erscheinen wird. (ipa)"